Konzepte für Friedensarbeit heute
Von Erfahrungen der DDR-Zeit und danach lernen
9. April 2016 in Halle (Saale)
In der Einleitung zu dem Studientag in Halle, an dem knapp 20 Personen aus der Region und dem gesamten Bundesgebiet teilnahmen, hieß es:
Der Krieg ist näher gekommen und Kriegführen scheint immer mehr zu einer normalen Option der Außenpolitik zu werden. Die Bundeswehr ist derzeit an 16 Einsätzen beteiligt, darunter auch Kriegseinsätze wie in Syrien, und liefert Waffen an Kämpfer ins syrische Kriegsgebiet.
Auch die Folgen sind nicht mehr fern von uns. Friedensarbeit ist für viele Menschen dringlicher geworden.
Genügt es zu protestieren?
Konstruktive Friedensarbeit ist nicht neu. Die Erfahrungen in der Friedensarbeit der letzten Jahrzehnte bieten ein eigenes, produktives Lernfeld. Es ermöglicht (zumindest Teil-) Antworten zu der Frage: Mit welchen Konzepten zur Überwindung von Gewalt und Unrecht können wir heutigen Herausforderungen begegnen?
Den ersten Vortrag des Tages hielt Gottfried Arlt. Er zog dazu das Manuskript von Eberhard Bürger mit heran, der aus Gesundheitsgründen absagen musste. Gottfried Arlt stellte die Geschichte der Bausoldatenbewegung in der DDR dar. Seit der Einführung der Wehrpflicht in der DDR verweigerten viele junge Männer den Dienst an der Waffe – sei es als Bausoldaten oder Totalverweigerer. Gottfried Arlt beschrieb anschaulich, wie der Bausoldatendienst, eine Form des Ersatzdienstes innerhalb des Militärs, nur ohne Waffen, aber mit Uniform, militärischen Unterdrückungsmechanismen und Arbeit, die oftmals direkte Hilfsleistungen für das Militär darstellte, trotzdem zum Nährboden für pazifistisches Engagement wurde. Der Grund war einfach: Dadurch, dass die Verweigerer in dem Dienst zusammen kamen, solidarisierten und vernetzten sie sich, was oftmals den Kern für Netzwerke und Kontakte bildete, die auch über die Dienstzeit hinaus wirkten. Viele Männer in den DDR-Kirchen, die sich für Frieden und Freiheit einsetzten, kamen aus diesem Bausoldatendienst.
Gottfried Arlts Vortrag kann hier heruntergeladen werden.
Da Alexander Leistner, der über „Persistenzbedingungen für das Engagement in religiösen und säkularen Friedensgruppen“ hatte referieren wollen, wegen Krankheit ausfiel, kam als nächster der Geschäftsführer des Friedenskreises Halle, Christof Starke, zu Wort. Der Friedenskreis Halle wurde direkt nach der Wende gegründet. In seiner Anfangszeit engagierte er sich sowohl in Deutschland wie in dem Bosnien-Krieg, wo er humanitäre Hilfe leistete und dann ein Freiwilligen-projekt aufbaute, das schließlich zu einem Projekt im Zivilen Friedensdienst führte. Heute ist der Friedenskreis mit 18 Hauptamtlichen (einschließlich PraktikantInnen) und zahlreichen ehrenamtlich Tätigen eine der größten Friedensorganisationen in der BRD. Seine Entwicklung stellte Christof Starke anhand des Bildes eines Baumes dar: Die Wurzeln waren u.a. die Kriegsdienstverweigerung in der DDR, das Friedensengagement der Kirchen und die gewaltfreie Revolution 1989/90. Über verschiedene Phasen kam der Friedenskreis zu seinen heutigen Schwerpunkten: 1. internationale Freiwilligenaustausche und -dienste, 2. schulische und außerschulische Friedensbildung mit Kindern, 3. friedenspolitisches Engagement.
Ein Hinweis auf Alexander Leistners Dissertation zu dem Thema findet sich unter diesem Link.
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Nach der Mittagspause referierte Martin Arnold: „An den 1989er Friedensgebeten in Leipzig für heute lernen, wie aktive Gewaltfreiheit durch gütekräftiges Handeln zur Wirkung kommt“. Er stellte zunächst das Konzept der Gütekraft dar, das auf der Annahme einer allgemein-menschlichen Neigung zu Wohlwollen und Gerechtigkeit basiert. Die drei Hauptwirkungselemente sind: Eigenaktivität (statt des bloßen Appells an andere), Ansteckung und Nichtzusammenarbeit. Martin Arnold zeigte sie in der Friedlichen Revolution 1989 auf. Sie trugen neben anderen Faktoren wesentlich dazu bei, dass die Friedensgebete und offenen Diskussionen am 9. Oktober in Leipzig nicht wie geplant gewaltsam unterdrückt, sondern die Demonstration der 70 000 geduldet wurde. Dieses überraschende Ereignis öffnete das Tor für die weitere Massenbewegung bis zum Ende der DDR. Viele erlebten es als „Wunder“. Arnold zeichnete nach, was für sein Zustandekommen wichtig war und was hieraus zu lernen ist.
Den letzten Vortrag des Tages bestritt Christine Schweitzer. Sie befasste sich konkret mit der Rolle von konstruktiven Alternativen in der Friedensbewegung und benannte vier Gründe, warum sich die Friedensbewegung mit ihnen oft so schwer tut: Es herrscht vielfach die Meinung, dass es ausreiche, Missstände zu benennen, so dass solche Empörung geweckt wird, dass die Menschen auf die Straße gehen. Zum zweiten fehlt oft das Wissen um konstruktive Alternativen. Zum dritten begibt sich, wer der Politik Alternativen der zivilen Konfliktbearbeitung vorschlägt, in die Ebenen der Realpolitik und damit auch in die Gefahr, seine Radikalität zu verlieren und in das System vereinnahmt zu werden. Und zum vierten ist die allgemeine konstruktive Alternative „Zivile Konfliktbearbeitung“ ein Sammelbegriff, kein einzelnes Konzept (wie z.B. Ziviler Friedensdienst oder Ziviles Peacekeeping), was ihre Propagierung als Alternative erschwert.
In der abschließenden Diskussion ging es um die Frage, mit welchen Konzepten zur Überwindung von Gewalt und Unrecht wir den heutigen Herausforderungen begegnen können. Dort und auch zwischendurch kam immer wieder das Thema der gegenwärtigen Situation in Deutschland und des Erstarkens rechtsextremer Kräfte auf. Das Gespräch suchen, aber aus einer klaren eigenen Position heraus, war eine Anforderung, die mehrfach erwähnt wurde.
Dazu passt auch, dass das IFGK voraussichtlich im Frühjahr 2017 seinen Studientag unter das Thema „Mit Nazis reden – aber wie?“ stellen wird.