Wie wird militärische Gewalt zur "friedensschaffenden Maßnahme"?

Albert Fuchs

Wie wird militärische Gewalt zur "friedensschaffenden Maßnahme"?
Kognitionspsychologische Aspekte zur Beurteilung von Militäreinsätzen


Arbeitspapier Nr. 2, Oktober 1995, 21 Seiten

Die Lehre vom Gerechten Krieg wird bei Debatten um künftige Kampfeinsätze der Bundeswehr wieder zunehmend eine Rolle spielen und auch dazu dienen, die Gegner dieser Einsätze mundtot zu machen. Diese Perspektive macht die Auseinandersetzung mit der Lehre und ihrer Anwendung wichtig. Albert Fuchs (Kognitions- und Sozialpsychologe, PH Erfurt) hat am Beispiel von Stellungnahmen zum Zweiten Golfkrieg untersucht, wie genau es diejenigen, die sich auf die Lehre vom Gerechten Krieg beziehen, mit dieser Lehre wirklich nehmen. Das Quellenmaterial, das Albert Fuchs untersuchte, waren 20 Stellungnahmen von bundesdeutschen katholischen Bischöfen zum Golfkrieg.

Fuchs hat eine Inhaltsanalyse dieser Stellungnahmen vorgenommen und diese Daten quantitativ weiterverarbeitet. Im Ergebnis zeigt er auf, dass diejenigen, die sich auf diese Lehre bezogen, dem Kriterienkatalog nicht folgten, also Kategorien gar nicht, wie es das Konzept erfordert, durchprüften. Der prüfende Blick lohnt sich aber, denn „diese Lehre erhebt den Anspruch, mit Hilfe eines Katalogs unabdingbar zu erfüllender Kriterien eine ethisch adäquate Urteils- und Entscheidungsfindung, die Differenzierung von ‚böser’ und ‚guter’ Gewalt, zu ermöglichen.“ Die Kriterien unterscheiden in ein ‚Recht zum Kriegführen’ und ein ‚Recht im Kriege’. Ein ‚Recht zum Kriegführen’ kann geltend gemacht werden, wenn es einen rechtfertigenden Grund, eine ‚rechte Absicht’ (die Wiederherstellung von Frieden und Gerechtigkeit), eine legitime Autorität gibt und alle anderen Mittel ausgeschöpft sind. Sind alle diese Bedingungen erfüllt, muss das ‚Recht im Krieg’ geprüft werden. Dies konkretisiert die Durchführung eines Gewalteinsatzes anhand der Kriterien von Diskriminierbarkeit (Unschuldige dürfen nicht Ziel der Vernichtung sein und die Gewaltmittel dürfen sich der Kontrolle nicht entziehen) und Verhältnismäßigkeit (zwischen den Schäden des Krieges und der der Ungerechtigkeit).

Im wesentlichen wurden nur zwei Einzelkategorien – ‚rechtfertigender Grund’ und ‚Verhältnismäßigkeit’ - miteinander kombiniert. Aufgrund dieser Selektivität kann es sich sowohl um eine ‚Urteilsbegründung’ als auch um die Rationalisierung einer bereits gefassten Meinung handeln. „Konkret ist zu erwarten,“ so Fuchs, „dass sich Befürworter und Kritiker der militärischen Maßnahmen der Golfkriegsalliierten vor allem hinsichtlich des Gebrauchs ... (der) Kriterien unterschieden. Militärische Maßnahmen erscheinen politisch-moralisch wohl um so eher rechtfertigungsfähig, je effektiver der Folgenaspekt ausgeblendet, der Anlassaspekt dagegen akzentuiert wird, und umgekehrt um so fragwürdiger, je stärker der Folgenaspekt hervorgehoben, der Anlassaspekt dagegen vernachlässigt wird".

Die Beliebigkeit, mit der die einzelnen Kriterien herangezogen wurden, macht ebenfalls die Nicht-Übereinstimmung der Urteile verständlich, die jeweils zum aktuellen Krieg abgegeben wurden. Fuchs unterstreicht die Bedeutung der Untersuchung, indem er den Befund mit einer „medizinischen Diagnose und Interventionsempfehlung“ vergleicht: „Was soll ein Betroffener damit anfangen, wenn fünf von 20 konsultierten Experten eine lebensbedrohliche Krankheit diagnostizieren und zu einem schweren chirurgischen Eingriff raten, fünf die Lebensgefährdung gerade in dem Eingriff sehen und die restlichen zehn sich nicht entscheiden können?“

Was kann dieses Ergebnis für die friedenspolitische Auseinandersetzung um die Wahl der Mittel von Konfliktaustragung und ihre Beurteilung bedeuten? Vorrangig kann der Anspruch auf Gültigkeit hinterfragt werden, wenn auf diese Lehre Bezug genommen wird. Mehr noch: die tatsächliche Anwendung der Kategorien kann eingefordert werden. Immerhin kann die Lehre aus der ’Lehre vom Gerechten Krieg’ sein, dass ein Krieg nicht gerechtfertigt ist. Und zu diesem Urteil muss die Prüfung gelangen, wenn nur eine Kategorie nicht erfüllt ist.

Lässt sich schließlich zeigen, dass sich eine ethische Rechtfertigung für Kriegshandlungen nicht ableiten lässt, so ist dies ein wichtiges Ergebnis: es öffnet die Frage nach den weiteren Gründen, aus denen Krieg dann doch geführt werden soll. Die Lehre vom Gerechten Krieg könnte so vielleicht eine neue Tradition bekommen: Krieg die Legitimierung zu versagen.

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